Zu Tode gepflegt – ein mahnendes Beispiel  

Dement werden und dann schlussendlich auch sein, heißt Abnahme der intellektuellen Fähigkeiten, Veränderungen im Gedächtnis und im logischen Denken, die zum Verlust der Fähigkeit von selbst einfachen Tätigkeiten wie Körperpflege, Toilettennutzung und Nahrungsaufnahme führt. Am Ende kommt es zu dann zu einer Aufgabe der Persönlichkeit. Nach dem Zusammenbruch des Über-Ich (Moral, Anstand und Sitte) folgt dann der des Ich.

Bereits lange vor dem Zusammenbruch des ICH der Dementen wird ihre Pflege und Betreuung für die pflegenden Angehörigen zu einem Alptraum.

Da sich aber die Demenz – oft über mehrere Jahre verteilt – schleichend entwickelt, wird das Ausmaß an Belastung von den pflegenden Angehörigen total unterschätzt.

Zu Beginn der Demenz-Krankheit wie auch über weite Strecken ihres Verlaufes sind es nicht die großen Dinge, die die pflegenden Angehörigen physisch und psychisch kaputtmachen, sondern die vielen kleinen Ereignisse wie Körperpflege, Toilette, kochen und verabreichen von Essen sowie Beaufsichtigungen. Und dies aber jeden Tag, jede Woche, jeden Monat und oft viele Jahre – 24 Stunden im Tag. Es gibt kein Ausspannen und keinen Ruhetag.

Alternative Angebote wie Tagesheime und Urlaubsvertretung werden noch zu wenig angeboten bzw. gehen ins Geld, die sich nicht jeder Pflegende leisten kann.

Hinzu kommt, dass man sich als pflegender Angehöriger allein gelassen fühlt – vor allem vom Staat, Land und Gemeinde.

Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann ermessen, wie belastend so eine Pflege von Dementen für die pflegenden Angehörigen sein kann.

So lautete der bezeichnende Titel eines Spiegel-Bestellers aus dem Jahr 2014, in dem die Pflege und Betreuung der an Demenz erkrankter Eltern von deren Tochter eindringlich geschildert wurde „Mutter, wann stirbst Du endlich? Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird“

Wie viele verzweifelte und von unserer Gesellschaft allein gelassene pflegende Angehörige hegen den gleichen Wunsch?

Am Beispiel eines tragischen Falles in Deutschland kann eindringlich veranschaulicht werden wie ein pflegender Angehöriger an der Pflege seiner schwer dementen Ehegattin zerbricht.  Und schlussendlich selbst ein Pflegefall wird.

Entnommen aus einem Artikel der deutschen Wochenzeitschrift, DER SPIEGEL (Nr. 8/18. 2. 2023) „Ich war allein. Ein Rentner in Deutschland tötete seine pflegebedürftige Frau“

Herr N. ging ins Schlafzimmer und drückte ein Kissen auf das Gesicht seiner Gattin. Als er spürte, dass seine Frau tot war, gab er ihr einen letzten Kuss und wählte dann den Notruf. Danach ging er zum Balkon, kletterte darauf, sprang und überlebte den Sprung aus dem dritten Stock.

Es war eigentlich eine Tat, die sich zwar immer wieder ankündigte, aber letztlich niemand erwartete.

Blenden wir kurz in die Zeit der 80er Jahre zurück. Damals hat er seine spätere Frau, eine Norwegerin, auf einer Urlaubsreise kennengelernt.

Im Jahr 2009 ging er als Justizbeamter in Pension. Die ersten Jahre in der Pension verliefen harmonisch. Sie gingen gemeinsam spazieren, sahen politische Sendungen im Fernsehen, ab und zu fuhren sie nach Norwegen oder Schweden, wo die inzwischen erwachsene Tochter lebt.

Danach sei aber seine Frau „schrullig“ geworden – so Herr N. bei seiner Verhandlung vor Gericht. Anfangs habe er gar nicht bemerkt, dass er immer mehr Aufgaben im Haushalt übernahm. Erst recht, nachdem sie im Sommer 2021 wegen eines Aneurysmas, einer Ausbuchtung der Bauchschlagader, eine schwere Operation auf sich nehmen musste. Sie verlor ihren Appetit, klagte über Schmerzen und ihr Herz war angeschlagen, nachdem sie 60 Jahre geraucht hatte. Sie litt unter einer chronischen Lungenentzündung und bekam keine Luft.

Ab dem Herbst 2021 verließ Herr N. kaum noch das Haus, weil er seine Frau nicht mehr alleine lassen wollte. Der ganze Tag drehte sich nur mehr um ihre Versorgung. „Manchmal wusste ich nicht mehr, wie ich es schaffen sollte. Nie gab es eine Pause.“

Im Jahr 2021 stellte er dann einen Antrag auf Pflegegeld. Nach einer telefonischen Begutachtung – wie in Corona-Zeiten üblich – wurde aber dieser abgelehnt.

Seine Gattin war aber inzwischen völlig entrückt. Sie saß einfach da im Sessel oder blieb gleich im Bett. Zum Essen half er ihr in die Küche. Sie wusch sich nicht mehr. Er hielt den Gestank nicht mehr aus. Jede Nacht musste er sie mehrmals zur Toilette führen. Er schrubbte dann den Boden, wenn dann alles danebenging. Und er wechselte ständig Bettwäsche und Windeln.

Im April 2022 stellte er erneut bei der Krankenkasse einen Antrag auf Pflegegeld.

Seiner Frau ging es aber inzwischen immer schlechter. Sie „japste“ inzwischen nur noch nach Luft. Nach einem Krankenhausaufenthalt wurde sie dann mit einem Sauerstoffgerät entlassen. Man empfahl ihr zwar die Unterbringung in einem Pflegeheim, aber der monatliche Eigenbetrag in der Höhe von € 2.000,– war nicht zu berappen.

Herr N. war wieder auf sich zurückgeworfen. Eine Situation, aus der es keinen Ausweg gab.

Nach seiner Tat bekam er eine Mitteilung der Krankenkasse, dass eine neuerliche Begutachtung des Pflegegrades seiner Gattin vorgesehen sei. Er hat aber abgelehnt, da eine solche Begutachtung nicht mehr vonnöten war.

Herr N. wurde inzwischen wegen Totschlag in einem minder schweren Fall zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Herr N. hat aber inzwischen wiederum einen Antrag auf Pflegegrad eingebracht. Diesmal aber für sich selbst!

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