Angehörigenpflege in der Schweiz

In der Schweiz lebten 2022 insgesamt rund 8,8 Millionen Menschen, davon waren 19 Prozent 65 Jahre und älter. 

Dank guter Lebensbedingungen und dem medizinischen Fortschritt wird es zu einer deutlichen Zunahme der Alten kommen. Zahlenmäßig bedeutet dies, dass bis zum Jahr 2045 ungefähr 2,7 Millionen Personen im Pensionsalter sind, was einem Anteil von 26 Prozent an der Gesamtbevölkerung entspräche.

Jegliche Änderung der Lebenszeit bedeutet auch eine Zunahme von chronischen Gesundheitsproblemen – und diese bedürfen dann einer vermehrten Pflegefürsorge.

Kaum glaubhaft sind die Zahlen aus einer Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2012.

In diesem Jahr waren 24 Prozent der schweizerischen Bevölkerung, die in Privathaushalten lebten, seit mindestens sechs Monaten aufgrund eines gesundheitlichen Problems in ihren Alltagsaktivitäten eingeschränkt. Wenn man dann noch die Altersstruktur berücksichtigt, dann waren es sogar 40 Prozent der über 65-Jährigen, die angaben, dass sie mit Einschränkungen leben mussten.

A. Das Versicherungssystem der Schweiz

Das Versicherungssystem in der Schweiz setzt sich aus vier „Akteuren“ zusammen:

  • Obligatorische Krankenversicherung (KVG): 1996 wurde in der Schweiz das neue Krankenversicherungsgesetz (KVG) eingeführt, das jede in der Schweiz wohnhafte Person dazu verpflichtete, eine obligatorische Krankenversicherung (OKP) oder Grundversicherung mit einem der rund 60 zugelassenen privaten Versicherer abzuschließen. Für die Versicherer besteht Annahmepflicht. Die  Prämien variieren sogar innerhalb der einzelnen Kantone.  Die Versicherten müssen sich an den Leistungen, die sie beziehen, beteiligen: ungefähr 300 CHF pro Kalenderjahr und ein zehnprozentiger Selbstbehalt, wenn der Kostenbeteiligungsbeitrag überschritten wurde.
  • Unfallversicherung (UVG): Personen, welche einer Arbeitstätigkeit nachgehen, müssen vom Arbeitgeber gegen Arbeitsunfälle versichert werden.
  • Invalidenversicherung (IV) ist ebenfalls eine obligatorische Versicherung. Leistungen können dann in Anspruch genommen werden, wenn Versicherte durch einen körperlichen, psychischen oder mentalen Gesundheitsschaden unfähig sind, ihrer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise nachzugehen.  
  • Alters- und Hinterlassenversicherung (AHV): Mit der Pensionierung wird dann die bestehende Invalidenversicherung von der Alters- und Hinterlassenversicherung abgelöst. Alle Personen, die das ordentliche Rentenalter (Männer 65 Jahre und Frauen 64 Jahre) erreichten, haben Anspruch auf eine Altersrente aus der AHV. Höhe des Anspruches variieren dann nach der Zahl der Beitragsjahre.
  • Zusätzlich zu AHV und IV können Ergänzungsleistungen (EL) bezogen werden, wennRente oder Einkommen nicht reichen, um die minimalen Lebenskosten zu decken.   

B. Versorgungsstrukturen in der Langzeitpflege

In der Schweiz wird zwischen stationärer und ambulanter Pflege mit mehreren Zwischenstufen davon unterschieden. Zur stationären Langzeitpflege gehören die Alters- und Pflegeheime. Zur ambulanten Langzeitpflege werden sowohl Pflegedienste wie auch Betreuungen wie z. B. Haushaltsführung, Waschen, Einkaufen oder auch soziale Kontakte gezählt. Es gibt auch, wenngleich nicht so häufig, intermediäre Betreuungsangebote: Alterswohnungen, Kurzzeitaufenthalte in einem Pflegeheim oder auch Tages- oder auch Nachtbetreuung. Pflegebedürftige, vor allem Personen mit Demenz, werden entweder während der Tages- oder auch der Nachtstunden in einem Pflegeheim betreut. All diese Maßnahmen dienen dann der Entlastung der pflegenden Angehörigen.

Der Grundsatz lautet „ambulant vor stationär“ – wie auch überall in Europa! In den letzten Jahren wurde aber dieser Grundsatz etwas modifiziert. Man spricht inzwischen von „ambulant und stationär“ oder auch „ambulant mit stationär“. Bei beiden Formen ist letztlich damit gemeint, dass die Dienstleistungen der Pflegeheime mit jenen der ambulanten Dienste kombiniert werden.    

Es bestehen aber große kantonale Unterschiede: vor allem in der Zentralschweiz bilden die Pflegeheime die Grundpfeiler jeglicher Alterspflege. In der lateinischen Schweiz hingegen liegt der Schwerpunkt stärker auf der ambulanten Pflege zu Hause.

In der Schweiz gibt es 1.570 Pflegeheime mit fast 150.000 Bewohnern. Die Zahl der Heimplätze nimmt zwar zu, aber weniger stark als die Zahl der über 65-Jährigen. Tendenziell zeigt sich daher ein Rückgang stationärer Pflege und parallel dazu – nolens volens –  ein Ausbau ambulanter Pflege.

C. Finanzierungen stationärer Aufenthalte

Für die Finanzierung eines Aufenthaltes in einem Pflegeheim werden vier verschiedene Kosten unterschieden:

a. Pflegekosten, die von der Krankenversicherung übernommen werden.

b. Betreuungskosten, die von den Pflegefällen oder deren Angehörigen getragen werden müssen.

c. Hotelleriekosten: Diese beinhalten Kosten für Zimmer, Mahlzeiten und Reinigung u.a.m. – und müssen ebenfalls privat getragen werden. Die Betreuungs- wie auch Hotelleriekosten werden über die persönlichen Einkünfte der Heimbewohner wie auch über Auszahlungen aus der Alters- und Hinterlassen-Versicherung und auch Invalidenversicherung gedeckt. Alles in allem: Ungefähr die Hälfte der Kosten in einem Pflegeheim werden von den Versicherungen getragen, ein Drittel von der öffentlichen Hand und der Rest von den Bewohnern selbst. Regresszahlungen gegenüber Angehörige der zu Pflegenden gibt es aber nicht!

d. Persönliche Ausgaben wie z.B. Cafeteria, Friseur etc.

D. Ambulante Dienste

SPITEX, Hilfe und Pflege zu Hause: Private, gemeinnützige oder auch öffentlich- rechtliche Organisationen übernehmen die Pflege zu Hause. Je nach Kanton verschieden werden weitere Dienstleistungen im Bereich der Altenpflege angeboten:  Onkologiepflege, Palliatives Care, Mahlzeitendienst und Begleitdienste, Ernährungs- und Diabetesberatung u. ä. m. Die Verantwortung für die Spitex-Dienste ist auf der Ebene der Kantone oder auch der Gemeinden angesiedelt. Im Jahr 2016 wurden in der Schweiz ungefähr 340.000 Personen von rund 1.900 externen Pflegediensten betreut – ungefähr vier Prozent der schweizerischen Bevölkerung in der Schweiz.

Die Pflegeleistungen als solche werden auf ärztliche Anordnung hin erbracht und von der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) vergütet. Ebenso wird  jegliche ambulante Akut- und Übergangspflege abgedeckt. Andere Dienstleistungen werden von der OKP nicht übernommen und müssen folglich entweder privat  oder über private Zusatzversicherungen berappt werden. Private Zusatzversicherungen sind daher in der Schweiz äußerst beliebt.

E. Betreuende und pflegende Angehörige

Ein großer Anteil an Pflege, Betreuung und auch Unterstützung der Alten wird auch in der Schweiz von deren Angehörigen übernommen. Dadurch wird ermöglicht, dass viele chronisch kranke oder behinderte Menschen zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung verbleiben können.

Ganz konkret erbrachten im Jahr 2014 ungefähr 330.000 Personen zwischen 15 und 64 Jahren Pflegeleistungen. Die stärkste Einbindung haben die Altersgruppen zwischen 50 und 64 Jahren erfahren. Die betreuenden und pflegenden Angehörigen haben 2013 42,3 Millionen Arbeitsstunden erbracht. Dies entspricht 22.600 Vollzeitstellen.  

Gleichzeitig haben zwischen 220.000 und 265.000 Personen ab 65 Jahren informelle Hilfeangebote angenommen.

Die Unterstützung durch die Angehörigen konzentriert sich vornehmlich auf Betreuungsaufgaben wie psychische und soziale Unterstützung, Übernahme von Haushaltsaufgaben, administrative Tätigkeiten und Transporte. Sie übernehmen aber nur zu 25 Prozent pflegerische Aufgaben und werden dabei oft noch von externen Pflegediensten unterstützt.

Die Betreuung von pflegebedürftigen Personen kann bei den pflegenden Angehörigen zu hohen Belastungen und Überforderung führen. Vor allem dann, wenn Menschen mit Demenz zu betreuen sind. Insbesondere pflegende Töchter sind in die Pflicht genommen, wodurch oft ihre ganze Lebensplanung zur Disposition gestellt wird.

Die Pflegebedürftigen wünschen sich aber eine unterstützende Betreuung durch ihre Angehörigen. Die pflegenden Angehörigen tragen aber auch wesentlich dazu bei, den Fachkräftemangel im Pflegebereich sowie die Erhöhung der Gesundheitskosten zu mildern und gewährleisten auch eine Altenpflege und Betreuung auf einem qualitativ hohen Niveau.   

Der Bund in der Schweiz hat daher ein Förderprogramm für Entlastungsangebote von pflegenden Angehörigen ins Leben gerufen. In einem ersten Schritt sollen die Bedürfnisse und die Situation pflegender Angehöriger erfasst und darauf aufbauend in einem zweiten Schritt sollen dann Entlastungsprogramme entwickelt werden. Der Fokus liegt dabei vor allem auf einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Einzelne Kantone bieten bereits jetzt Betreuungszulagen für pflegende Angehörigen an, deren Höhe aber nicht ausreicht, ihre Lohn-  bzw. Gehaltsausfälle auszugleichen. Sie sind nicht mehr als eine Art finanzieller Anerkennung zu verstehen. Eine weitere Möglichkeit – je nach Gemeinde verschieden –  besteht aber darin, sich als pflegender Angehöriger bei SPITEX (Schweizer Organisation, die die externen Pflegedienste unter Vertrag nimmt) anstellen zu lassen.

Die steigende Lebenserwartung stellt auch die Schweiz vor großen Herausforderungen. Sowohl hinsichtlich des fehlenden Gesundheitspersonals als auch hinsichtlich der Finanzierung des Pflege- und Gesundheitssystems mit seinen rasant steigenden Kosten.

In Bezug auf den Fachkräftemangel gibt es auf der Ebene von Bund und Kantonen bereits Initiativen, um den Nachwuchs zu fördern und die Attraktivität der Gesundheitsberufe zu steigern. Es werden bessere Lohnangebote offeriert. Es ist auch daran gedacht, durch Verbesserungen im E-Health-Bereich die Effizienz in der Altenpflege zu steigern.

Da es aber nicht möglich erscheint, den Pflege- und Betreuungsbedarf mit formellen Pflegeleistungen allein abzudecken, wird sich zwangsläufig die Stärkung von Unterstützungsangeboten für betreuende und pflegende Angehörige zu einer zentralen Strategie in der schweizerischen Pflegepolitik entwickeln müssen.       

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