Angehörigenpflege in den Niederlanden

Entgegen internationaler Trends, zersplitterte Zuständigkeiten in einer Hand zusammenzuführen, frönt man in den Niederlanden trotz Reform weiterhin einer Diversität:

(1) Die Pflegeversicherung – geregelt durch das Pflegeversicherungsgesetz (WLZ) – ist ausschließlich für Pflege und ständige Betreuung „schwerer“ Fälle zuständig. 270.000 Personen nutzten im Jahr 2016 Pflegeleistungen nach WLZ-Gesetz, deren Ausgaben sich auf 17,7 Mrd. EURO summierten. Das Pflegeversicherungsgesetz wird über die Einkommensteuer finanziert.

(2) Die Pflege nicht schwerer Fälle liegt im Verantwortungsbereich der Krankenversicherung, geregelt durch das reformierte Krankenversicherungsgesetz (ZVW). Die zueinander in Wettbewerb stehenden privaten Krankenversicherungen müssen alle Personen als Versicherte akzeptieren. Die Mittelaufbringung der Krankenversicherung erfolgt über zwei unterschiedlichen Schienen: Zum einen muss jeder Einwohner einen Krankenversicherungsvertrag abschließen. Zum anderen werden über den Arbeitsplatz einkommensabhängige Zahlungen fällig. Selbstbehalte sind möglich. 

(3) Die Betreuung nicht schwerer Fälle wurde in einem eigenen Sozialhilfegesetz (WMO) zusammengefasst und in die kommunale Verantwortung übertragen. Rund 2,1 Millionen Personen nutzten die Betreuungsleistungen, die 2016 unter das WMO-Gesetz fielen und Ausgaben in der Höhe von 4,8 Mrd. Euro verursachten.

Einkommensabhängige Zuzahlungen durch  die Pflegepersonen sind sowohl nach WLZ als auch nach WMO erforderlich und können bei einem stationären Aufenthalt in einem Pflegeheim beträchtlich sein, sodass oft nur mehr ein Kleidungsbeitrag und ein Taschengeld zur freien Verfügung stehen.

Das niederländische Pflegesystem hat sich den kontinentalen Systemen angenähert und betont den Stellenwert „informeller Pflege“, ohne dass diese gesetzlich verankert ist.

Ähnlich wie in den skandinavischen Ländern spielen auch im niederländischen Pflegesystem Sachleistungen eine große Rolle, wiewohl die Leistungsberechtigten zwischen Sach- und Geldleistungen wählen können.  

Die geteilten Zuständigkeiten betreffen auch die Untersuchung, ob überhaupt ein Bedarf gegeben ist.

Von Vertretern der Gemeinden wird in sogenannten „Küchentischgesprächen“ der Grad der jeweiligen Pflegestufe ermittelt. Es wird auch über den Einsatz der Budgets entschieden. Dies gilt für die leichten Pflegefälle. Das heißt, dass letztendlich Bedienstete der Gemeinden darüber entscheiden, ob und in welchem Ausmaß welche Betreuungsleistung erfolgen soll.

Da keine einheitlichen nationalen Regelungen festgelegt wurden, welche persönliche Situation zu welchem Leistungsanspruch führt, kommt es zu großen regionalen Unterschieden und großer Unübersichtlichkeit.

Ein unabhängiges Assessmentcenter (CIZ) untersucht dann, ob ein „schwerer“ Pflegefall vorliegt, wofür dann das Pflegeversicherungsgesetz zuständig ist. Das Assessment stellt fest, ob ein Transfer von der kommunalen Zuständigkeit in das WLZ-System zu erfolgen hat. Damit ist aber noch nicht festgelegt, ob die Pflege zu Hause ambulant oder stationär in einem Pflegeheim erfolgen soll.  Festgelegt wird aber die Höhe der Zuzahlungen und ob ein Anspruch auf einen Heimplatz besteht.

Seit 2013 dürfen nur Personen ab der vierten von insgesamt acht Pflegestufen in einem Pflegeheim aufgenommen werden. Durch das Hinaufschrauben der Anforderungen für eine stationäre Pflege stieg der Stellenwert informeller und ambulanter Pflege.

Für die Kommunen besteht der große Anreiz, Personen mit einem hohen Pflege- und Betreuungsbedarf in die WLZ-Zuständigkeit zu transferieren, d. h. in die stationäre Intensivversorgung abzuschieben, da WLZ auch bei häuslicher Betreuung „schwerer“ Pflegefälle zuständig ist. Denn dadurch kommt es zu einer Entlastung kommunaler Budgets.

Für das niederländische Pflegesystem mussten im Jahr 2015 3,7 Prozent des BIP aufgewendet werden, Dies war der Spitzenwert unter den OECD-Ländern. 

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